Kapitel 11

Abby fühlte sich...

Eindeutig befriedigt. Auf eine wunderbare Weise erfüllt. Aber es war mehr als das. Das wurde ihr klar, während sie in Dantes Armen lag und daraufwartete, dass die Dunkelheit vollständig hereinbrach.

Sie fühlte sich wertgeschätzt. Ja, das war das richtige Wort. Als ob das, was gerade zwischen ihnen beiden passiert war, mehr gewesen sei als bloß ein Mittel, um sich die Zeit zu vertreiben, die Schrecken der vergangenen Stunden zu vergessen oder ein triebhaftes Bedürfnis zu befriedigen.

Vielleicht lag es daran, dass man wunderbar mit ihm kuscheln konnte, oder daran, dass er über jahrhundertelange Erfahrung verfügte, oder einfach daran, dass er Dante war.

Was auch immer davon zutraf, sie wusste mit absoluter Gewissheit, dass sie eine Ewigkeit so verbringen könnte, ihr Kopf auf seiner Schulter, während er mit den Händen sanft ihren Rücken streichelte.

Ihre träumerischen Gedanken wurden von einem schmerzhaften Stich in ihren Hals unterbrochen. Sie hob die Hand und schlug nach dem lästigen Insekt. Verdammt. Das war vielleicht eine ätzende Art, aus einer rosaroten Fantasie gerissen zu werden.

Aber wahrscheinlich war das gar nicht mal so schlecht, dachte sie ironisch. Wie wahnhaft musste sie sein, wenn sie schon anfing, von einem kleinen Bungalow, Sonntagsbrunch und Kinderzimmern mit einem Vampir zu träumen?

Offensichtlich hatte sie einen Zombie zu viel überstanden. Sie spürte den nächsten heftigen Stich an ihrem Bein.

»Au.« Sie schlug sich auf die Wade.

»Ich hoffe, du findest keine Gefallen an ausgefallener Selbstzüchtigung«, murmelte Dante. »Ich nehme an, das kann durchaus seine Reize haben, aber am Ende geht es doch nie gut.«

Abby setzte sich auf und kratzte sich an einem ihrer zahllosen Stiche. »Ich werde bei lebendigem Leib aufgefressen.«

Obwohl vollkommen angezogen, gelang es Dante, trotz allem sündhaft verführerisch auszusehen, als ein träges Lächeln seine Lippen kräuselte.

»Nicht schuldig... zur Abwechslung.« Seine Augen blitzten in der Dunkelheit auf. »Nicht, dass ich etwas gegen einen kleinen Biss oder zwei einzuwenden hätte.«

Abby wäre vielleicht vor Verlangen erbebt, wenn sie nicht damit beschäftigt gewesen wäre, das zu retten, was von ihrem Blut noch übrig war.

»Stechmücken«, gab sie zurück, wobei sie ihren Blick über Dantes perfekte Gesichtszüge schweifen ließ. Dann glitt er weiter über Dantes perfektes Haar, das wirkte, als sei es gerade erst frisch im Friseursalon gestylt worden, und über die Kleidung, an der nicht eine einzige verdammte Knitterfalte zu sehen war. Das war mehr als genug, um selbst eine äußerst befriedigte und wertgeschätzte Frau ein wenig mürrisch werden zu lassen.

»Ich nehme an, du musst dich nicht über die ekelhaften Blutsauger ärgern?«

Dantes Lippen zuckten bei der Schärfe in Abbys Stimme. »Stechmücken haben für mich noch nie Arger bedeutet, aber das Gleiche kann ich nicht über alle Blutsauger sagen.«

Sie neigte den Kopf zur Seite. Ihre kurze Gereiztheit war vergessen.

»Wie ist das eigentlich?«

»Wie ist was?«

»Ein Vampir zu sein.«

Dante sah sie erstaunt an. »Ich glaube, du musst dich etwas genauer ausdrücken, Liebste. Das ist eine ziemlich umfassende Frage.«

Abby zuckte mit den Schultern. »Unterscheidet es sich sehr von deiner Zeit als Mensch?«

Es folgte eine kurze Stille, als dächte Dante darüber nach, wie viel Wahrheit Abby wohl ertragen konnte, bevor er die Arme vor der Brust verschränkte und ihren neugierigen Blick erwiderte.

»Ich habe keine Ahnung«, gestand er schließlich.

Das hatte Abby nicht erwartet. »Du wurdest als Vampir geboren?«

»Nein, aber es ist nicht so wie im Film. Ich bin nicht aus einem Grab gekrochen und habe mein Leben weitergeführt, als ob ich nie gestorben sei.«

»Was ist denn passiert?«

Sein Gesicht versteinerte, als er seine uralten Erinnerungen wachrief. »Eines Abends wachte ich am Hafen von London auf und konnte mich nicht an meinen Namen und an nichts aus meiner Vergangenheit erinnern. Es war, als sei ich gerade geboren worden, ohne die geringste Ahnung, wer oder was ich war.«

Abby war betroffen über die knappen Worte. Er musste große Angst gehabt haben. Es war ja schon schlimm genug für sie gewesen zu akzeptieren, dass in ihrem Inneren ein fremdes Wesen... herumstöberte. Aber wenigstens war sie nicht allergisch gegen die Sonne und süchtig nach Blut aufgewacht und hatte auch keine Gehirnwäsche hinter sich.

Und was noch wichtiger war, Dante stand ihr zur Seite, um ihr ihre Ängste zu nehmen. Natürlich war das der einzige Grund, warum sie jetzt nicht in einer Gummizelle saß.

»Zuerst dachte ich, dass ich wohl auf einer Zechtour gewesen sein musste und dass meine Erinnerungen am Ende wiederkommen würden«, erzählte er mit einer Grimasse. »Wahrscheinlich hätte ich noch immer am Hafen gesessen, als die Morgendämmerung einsetzte, wenn Viper nicht auf mich gestoßen wäre und mich in seinen Clan eingeführt hätte.«

Vor Abbys geistigem Auge entstand ein seltsames Bild von Kilts und Dudelsäcken. Das passte so überhaupt nicht zu wunderschönen, tödlichen Vampiren.

»Clan?«

»Eine Art Familie, nur ohne all die Schuldgefühle und Schlägereien zwischen Betrunkenen an Feiertagen«, antwortete er.

Abby lachte leise. »Das hört sich ganz nach meiner Art von Familie an.«

»Natürlich, es ist nicht schlecht, wenn man so eine bekommen kann.«

Sein Ton war flapsig, aber Abby war nicht dumm genug zu glauben, dass es leicht gewesen war.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, ergriff sie seine Hand. »Aber du musst doch neugierig auf deine Vergangenheit gewesen sein.«

Er senkte den Blick, als er seine Finger mit ihren verschränkte. »Eigentlich nicht. Aus meinem beißenden Geruch und der zerlumpten Kleidung konnte ich schließen, dass ich zu einer der zahllosen Horden von unerwünschten Elementen gehört hatte, die die Stadt belästigten.«

»Aber was, wenn du eine Familie hattest?«

Für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde drückte er ihre Finger auf eine fast schmerzhafte Weise. Dann lehnte er sich wieder gegen die Höhlenwand und fragte ruhig: »Und wenn ich eine hatte? Ich hätte mich nicht an sie erinnert. Sie wären Fremde für mich gewesen. Oder Schlimmeres.«

»Schlimmeres?«

Er hielt bewusst ihrem Blick stand. »Abendessen.«

Abbys Magen zog sich zusammen. Dante ermahnte sie, nicht zu vergessen, wer oder was er in Wahrheit war. Leider hatte er ihr das so verdammt leicht gemacht.

»Oh.«

»Es war besser für alle, dem Mann, der ich gewesen war, zu erlauben zu sterben.«

Abby konnte es nicht abstreiten. Sie hatte sowieso noch nie an all diesen Heile-Welt-Mist geglaubt. Es gab definitiv Zeiten, wo es besser für alle war, dass der Vater wegging und nie wieder zurückkam.

Sie zog die Knie an und stützte ihr Kinn darauf.

»Das muss sehr seltsam gewesen sein. Einfach aufzuwachen und jemand zu sein, den du nicht mal kanntest.«

Beinahe geistesabwesend hob er die Finger an die Lippen. »Am Anfang war es so, aber Viper lehrte mich, mein neues Leben zu schätzen. Er war es, der mir den Namen Dante gegeben hat.«

Es war schwer, sich Viper als Vaterfigur vorzustellen. Er wirkte so distanziert und kühl. Aber es war offensichtlich, dass der ältere Vampir einen großen Einfluss auf Dante besaß. Und dafür musste sie dankbar sein.

»Warum >Dante<?«

Dante lächelte schief. »Er meinte, ich müsse lernen, mehr Dichter als Krieger zu sein.«

»Ah, Dante, natürlich.«

»Er schärfte mir ein, dass ein Raubtier aus mehr besteht als bloß aus Muskeln und Zähnen. Ein Raubtier muss seine Intelligenz nutzen, um seine Beute zu beobachten und ihre Schwächen in Erfahrung zu bringen. Beute zu schlagen ist weitaus einfacher, wenn man vorhersagen kann, wie das Opfer reagieren wird.«

Abby schnitt eine Grimasse. »Wow, und ich dachte schon, meine Aussichten wären trostlos.«

Er zuckte die Achseln. »Er hatte nicht ganz unrecht.«

»Was meinst du damit?«

»Wenn ich Fallen schneller hätte wittern können, dann hätten diese Hexen mich nie gefangen.«

Augenblicklich kniete Abby vor ihm und nahm sein Gesicht in beide Hände. Der Gedanke, dass irgendein anderer Vampir außer Dante hier bei ihr sein könnte, entsetzte sie zutiefst.

»Und du wärst nicht Dante«, meinte sie ernst.

Ein merkwürdiges Lächeln bildete sich auf Dantes Lippen. »Und das wäre schlimm?«

»Sehr schlimm«, flüsterte Abby.

Ohne Vorwarnung beugte er sich vor, um ihr einen wilden, besitzergreifenden Kuss auf die Lippen zu drücken, bevor er sich widerstrebend wieder zurückzog, um sie mit einem prüfenden Blick anzusehen.

»So gerne ich auch hier bleiben und mich mit dir amüsieren würde - ich glaube, wir sollten uns besser auf den Weg machen.«

Abby erstarrte. Weitergehen? In die Dunkelheit hinausgehen und sich den gruseligen Scheußlichkeiten stellen, die draußen auf sie warteten?

Das klang nicht gerade verlockend. Nicht, wenn sie sich diverse andere Dinge vorstellen konnte, die sie in der Dunkelheit lieber täte.

Dinge, die einen Vampir mit viel Sex-Appeal und vielleicht etwas Duftöl einschlossen...

»Müssen wir unbedingt gehen?«, fragte sie. »Hier sind wir wenigstens sicher.«

Dante schüttelte den Kopf. »Nein, hier sitzen wir in der Falle. Vor allem, wenn die Sonne aufgeht.«

Abby musste zugeben, dass er vielleicht nicht ganz unrecht hatte. »Wohin gehen wir denn?«

Er erhob sich und half Abby beim Aufstehen. »Zuerst suchen wir das Auto, und dann fahren wir zurück nach Chicago.«

Nachdem Abby wieder auf den Beinen stand, probierte sie vergeblich, den Staub von ihrer Hose abzuwischen. Natürlich war das dumm. Schließlich trug der Staub dazu bei, die Falten zu überdecken.

»Warum Chicago?«

Dante strich Abby eine widerspenstige Locke hinter das Ohr. »Weil Viper dich dort beschützen kann, während ich mich um Mittel und Wege kümmere, die Hexen aufzuspüren.«

Abby kniff die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, der selbst den begriffsstutzigsten Vampir darauf aufmerksam machen sollte, dass sie nicht begeistert war.

»Du denkst doch wohl nicht darüber nach, sie allein zu verfolgen?«

Dante war klug genug, Schwierigkeiten zu spüren, bevor sie ihn unvorbereitet trafen. Er sah sie argwöhnisch an.

»Ich bin der Einzige, der ihre Fährte kennt.«

»Nicht der Einzige«, presste sie hervor. »Irgendwas ist da draußen, das Jagd auf sie macht. Etwas, das sie schon einmal gefunden und wie Sushi zerlegt hat. Ich bin sicher, es würde dir diesen Trick liebend gerne live und ganz persönlich zeigen.«

»Sehr anschaulich, aber wahr«, gab er zu. »Und das ist genau der Grund, warum du bei Viper bleiben sollst.«

Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Und der Grund, warum du nicht allein die Hexen verfolgen sollst.«

»Wir können weiterstreiten, während wir gehen«, meinte Dante. Er ergriff Abbys Hand und zog sie aus der Höhle. »Das wird eine hübsche Abwechslung von deinem Gejammer, ich würde dich im Kreis herumführen.«

Abby brauchte einen Moment, um die sanfte Brise zu genießen, die die Luft in Bewegung hielt. Sie brachte einen Geruch mit sich, von dem Abby nur vermuten konnte, dass er etwas mit Natur zu tun hatte. Es war immer ihr Prinzip gewesen, nirgendwohin zu gehen, wo es keine gepflasterten Straßen und keine Kaffeebar gab. Es war ziemlich merkwürdig, von Bäumen und Sternen umringt zu sein.

Allerdings nicht merkwürdig genug, um sie vergessen zu lassen, dass sie gerade dabei war, Dantes falsche Annahme zu korrigieren, dass er herumlaufen und Lone Ranger spielen konnte, während sie in der Nähe war.

»Es gibt keinen Streit«, sagte sie mit ihrer besten Grundschullehrerinnenstimme. »Du gehst nicht allein, und damit Schluss.«

Er ließ ein überhebliches Lächeln aufblitzen. »Ich gebe ja zu, dass du Dickköpfigkeit zu einer Kunstform erhoben hast, aber ich hatte über dreihundert Jahre Zeit, um meine eigene zu perfektionieren. Du hast keine Chance.«

Ihr Lächeln war noch überheblicher. »Über dreihundert Jahre sind gar nichts. Ich bin eine Frau.«

»Das ist wohl wahr.« Er ließ seinen Blick langsam über ihre zerknitterte Gestalt gleiten. »Eine wunderschöne, zauberhafte Frau, die wie ein Kätzchen schnurrt, wenn ich ihre...«

»Dante.«

Er lächelte amüsiert, als sie errötete. »Was denn? Ich mag Kätzchen.«

Sie bemühte sich, die Stirn zu runzeln. »Du versuchst mich nur abzulenken.«

»Funktioniert es?«

»Ich...« Abby blieb unvermittelt stehen, als ihr ein kalter Schauder über den Rücken lief.

Im Bruchteil einer Sekunde stand Dante direkt neben ihr. Sein Körper war bereit zuzuschlagen. Alles, was er brauchte, war ein Opfer. »Was ist los?«

»Hier draußen ist irgendwas«, antwortete sie. Dante hob den Kopf und schloss die Augen. Eine ganze Weile blieb er stumm und schüttelte dann langsam den Kopf.

»Ich spüre nichts.«

In jeder anderen Nacht hätte Abby die Achseln gezuckt und zugegeben, dass sie sich etwas eingebildet hatte. Eine kurze Gänsehaut sollte wohl kaum ausreichen, um sich verrückt zu machen.

Aber dies hier war nicht jede andere Nacht, und obwohl sie vielleicht nicht gerade zur Vereinigung der intelligentesten Menschen der Erde gehörte, war sie nicht völlig verblödet. Sie würde ihre Instinkte nicht ignorieren, die ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließen.

»Ich glaube, es ist dasselbe, was uns auch bei Viper angegriffen hat.«

Er knurrte tief in der Kehle. Es war ein Geräusch, das nicht gerade dazu beitrug, Abbys Kribbeln abzuschwächen.

»Abscheulichkeiten«, zischte er. »Wo?«

»Vor uns«, antwortete sie prompt, und dann drehte sie sich um, diesmal etwas unsicherer. »Und ich glaube, hinter uns.«

Dante blickte sich schnell um, bevor er ihre Hand packte und sie tiefer zwischen die Bäume zog.

»Hier entlang.«

Abby hatte nicht die Absicht, mit ihm zu streiten. Eiskalte Furcht krampfte ihr den Magen zusammen, und sie hatte einen Kloß im Hals. Im Augenblick war sie durchaus willens, den gesamten Weg nach Chicago rennend zurückzulegen, falls nötig.

Geduckt, um den Ästen auszuweichen, die ihnen den Weg blockierten, huschten sie durch die Dunkelheit. Dante mit seiner üblichen eleganten Lautlosigkeit, während Abby hinter ihm herpreschte wie ein Elefantenbulle, dem ein Betäubungspfeil im Hintern steckte.

Abbys Kribbeln hielt trotz ihrer raschen Flucht weiterhin an. Manchmal wurde es stärker und dann merkwürdigerweise immer wieder schwächer. Abby brauchte ihren Instinkt allerdings nicht, um zu bemerken, dass sie gejagt wurden. Die lebenden Toten hielten ihre Anwesenheit nicht länger geheim: Sie stolperten hinter ihnen her, wobei sie sogar noch mehr Lärm machten als Abby selbst.

Keuchend und verbissen das Seitenstechen ignorierend, fragte sich Abby für einen kurzen Moment, wie es sein konnte, dass die Leichen sich in einem solchen Tempo bewegten. Um Gottes willen, sie waren doch tot, oder etwa nicht? Die meisten von ihnen waren zweifelsohne an einer Überdosis Fleisch, Zigaretten und Bier gestorben.

Sie sollten sich doch eigentlich dahinschleppen wie richtige Zombies, und nicht durch den Wald schießen, als seien sie das verdammte kenianische Leichtathletikteam.

Abby, die sich sehr anstrengen musste, um mit Dantes ungeheurem Tempo Schritt zu halten, war nicht darauf gefasst, dass er plötzlich anhielt. Sie krachte gegen seinen Rücken und konnte sich nur durch den Arm auf den Beinen halten, den er ihr blitzschnell um die Taille schlang.

»Verdammt«, knurrte sie und atmete mehrmals tief durch. »Warum hast du angehalten?«

Seine Augen glitzerten in der Dunkelheit, und seine Gesichtszüge waren wie versteinert.

»Mir gefällt das nicht.«

Abby zitterte und blickte über ihre Schulter. Sie hörte das unverkennbare Geräusch einer sich nähernden Horde.

»Ich mag das hier auch nicht gerade besonders, aber es ist wesentlich besser, als uns von diesen Dingern fangen zu lassen.«

»Das ist genau der Punkt«, meinte er mit rauer Stimme.

»Was?«

»Sie hätten uns umzingeln und uns den Fluchtweg abschneiden können. Warum haben sie das nicht getan?«

Abby war kaum in der Lage, ruhig zu bleiben, wenn jeder Instinkt sie anschrie, ihre planlose Flucht in der Hoffnung auf Sicherheit fortzusetzen.

»Weil sie verdammt noch mal hirntot sind.«

Dante schien unfassbar unbeeindruckt von ihrer Logik zu sein. »Sie sind vielleicht tot, aber sie werden von jemandem kontrolliert.«

»Und was 'willst du damit sagen?«

Dante schwieg einen Moment, während seine Augen sich zu gefährlichen Schlitzen verengten. »Wir werden getrieben.«

»Getrieben?« Es dauerte einen Augenblick, bis Abby ein geistiges Bild zu seinen Worten heraufbeschworen hatte. »Du meinst, wie Schafe?«

»Genau wie Schafe.«

»Aber... warum?«

Erstaunlicherweise gelang es Dantes Gesichtszügen, einen noch versteinerteren Ausdruck als vorher anzunehmen. »Ich glaube nicht, dass wir das herausfinden möchten.«

Abby sank das Herz in die Hose. Wenn Dante besorgt war, dann musste die Situation schlimm sein. Und zwar wirklich schlimm.

»O Gott, was tun wir bloß?«, stammelte sie.

»Ich denke, entweder bleiben wir stehen und kämpfen, oder wir versuchen uns aus dem Staub zu machen.«

Abby musste nicht einmal darüber nachdenken.

»Ich plädiere für die Stauboption.«

»Dann los.« Dante verstärkte seinen Griff um ihre Taille und zog sie ein Stück nach oben, um ihr einen zu kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken, bevor er sie über die Schulter warf wie einen Sack Kartoffeln. »Halte dich gut fest, Liebste.«

Abby kreischte erschrocken auf, als er mit fließenden Bewegungen und in einem Tempo losrannte, das die Bäume verschwimmen ließ. Es war ganz sicher schneller, als wenn sie hinter ihm hertappte und so auch ihn auf ihre menschliche Geschwindigkeit herunterbremste, aber sie entdeckte, dass das Schaukeln ihr heftige Übelkeit verursachte.

Sie schloss die Augen, kämpfte gegen das Unwohlsein an und konzentrierte sich auf etwas anderes als den Boden, der unter ihr schwankte.

Die Miete war am Freitag fällig. Sie hatte keinen Job. Wenigstens keinen, der sich auszahlte. Außer natürlich, es war eine Belohnung darauf ausgesetzt, dass man die Welt vor irgendeinem schaurigen Fürsten rettete. Ihr momentaner Liebhaber war ein Vampir, der ebenfalls arbeitslos war. Und ihr Geburtstag stand in weniger als einem Monat bevor.

Diese Art von Gedanken hätte sie eigentlich mit Leichtigkeit ablenken müssen. Doch leider rebellierte ihr Magen immer noch.

Sie öffnete gewaltsam die Augen, in der Hoffnung, das würde helfen.

Das war ein großer Fehler.

Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle, als sie die verrottenden Leichen erblickte, die immer näher kamen.

Mit einem großen Satz sprang Dante über einen umgestürzten Baum, und mit einer Bewegung, die Abbys Zähne aufeinanderkrachen ließ, stellte er sie wieder auf die Füße und schob sie hinter sich.

»Wir sind in einer Sackgasse gelandet«, teilte er ihr mit. Sein Ton war düster, und er hatte die Hände zu Fäusten geballt.

Abby schluckte mühsam. Zwischen den Bäumen schlichen ein Dutzend Zombies herum, vielleicht auch mehr. Sie konnte Gott nur danken, dass es zu dunkel war, als dass sie mehr als verschwommene Umrisse hätte sehen können. Es war schon schrecklich genug, von den lebenden Toten angegriffen zu werden, ohne direkt zu wissen, wie sie den Tod finden würden.

»Sieht aus, als müssten wir uns ihnen jetzt doch stellen, um mit ihnen zu kämpfen«, krächzte sie.

»Abby.« Dante drehte sich um, um sie mit einem qualvollen, reuigen Blick anzusehen.

Abby konnte tatsächlich seine Wut und die bitteren Schuldgefühle spüren, die in ihm tobten. Er gab sich selbst die Schuld, das wusste sie. Er war der Meinung, sie enttäuscht zu haben.

Sie hob die Hand und legte sie sanft auf seine Wange.

»Dante«, flüsterte sie.

Hinter ihr erklang das Geräusch eines brechenden Zweiges. Unwillkürlich wirbelte sie herum. Und genauso unwillkürlich schrie sie auf, als ein großer Stock durch die Dunkelheit direkt auf ihren Kopf zuraste.